Dienstag, Jänner 17, 2006

Molterer, die Abtreibung und die direkte Demokratie

Ein paar Antworten erhalten haben die österreichischen Initiativkreise auf ihren Appell für Österreich. Dieser war an die Bundesregierung sowie die Bischöfe gerichtet und wollte Politiker sowie Kleriker in Sachen Abtreibung und glaubensfeindlicher Staatskunst in die Pflicht nehmen. "Initiativkreise" sind Zusammenschlüsse ausgesprochen konservativer katholischer Aktivisten im Stile von Honoratiorenkränzchen. Sie befinden sich kirchenpolitisch meist in lefebvrianischem Fahrwasser.

In ihrer Zeitschrift IK Nachrichten (Nr. 1/2006) berichten die Appellanten nun über die Reaktionen. Der Vorarlberger Landeshauptmann Sausgruber bestätigte wie auch der Linzer Bischof Schwarz lediglich den Erhalt des Appells. Vernehmen läßt sich dagegen Klubobmann Wilhelm Molterer:

"Was die Fristenregelung selbst betrifft, so ist es offenkundig, daß weder in der österreichischen Bevölkerung noch im Parlament eine Mehrheit für eine Änderung eintritt. Offen gesagt sehe ich daher schon aus Respekt vor dem demokratischen Grundprinzip unserer Verfassung die Voraussetzungen für politische Initiativen in diesem Bereich derzeit nicht gegeben."

Die ÖVP, so wird Molterer weiter zitiert, sei aber eine "... deklarierte Familienpartei ...".

Dieses Statement wirft gleich mehrere Unklarheiten auf. Zunächst ist bemerkenswert, daß sich Molterer plötzlich zum radikalen Direktdemokraten gewandelt hat. Oder aber er verwechselt Österreich mit der Schweiz. Denn zu einer Änderung des Strafgesetzes (dort ist die "Straffreistellung" der Abtreibung festgeschrieben) braucht es keine direkte Zustimmung der Bevölkerung. Dafür hat sie schließlich das Parlament gewählt.

Unbekannt ist weiters, woher Molterer wissen will, daß die Mehrheit der Bevölkerung für die Abtreibung ist. Eine Volksabstimmung dazu hat es nie gegeben und die "Fristenregelung" wurde 1974 schließlich auch trotz anfänglich wahrscheinlich mehrheitlicher Mißbilligung der Bevölkerung vom Parlament beschlossen und ab 1975 umgesetzt. Daß sich die Stimmung gegenüber den ungeborenen Kindern in der Bevölkerung seither mutmaßlich verschlechtert hat, ist, falls zutreffend, auch ein Resultat der Politik der ÖVP, die ursprünglich zugesagt hatte, bei Wiedererlangung einer "bürgerlichen Mehrheit" die "Fristenregelung" wieder außer Kraft zu setzen. Vielleicht schöpft Molterer aus dieser Praxis sein Wissen um den Volkswillen.

Schön ist, daß Molterer das demokratische Grundprinzip unserer Verfassung respektiert und dieses sogar als direktdemokratisches Prinzip interpretiert. Unklar ist, warum er dann weiterhin mit seiner Stimme als Abgeordneter die ÖVP/BZÖ Koalition unterstützen kann. Schließlich hat das BZÖ kein direktdemokratisches Mandat und, wie anhand der letzten Wahlergebnisse ersichtlich ist, auch keinen relevanten Rückhalt in der Bevölkerung.

Zuletzt bleibt ebenfalls ungeklärt, wie eine Partei, die nichts dagegen unternehmen will, daß man beinahe jedes zweite Kind abtreibt, sich als "Familienpartei" verstehen kann. Schließlich wird nach christlichem Gesellschaftsverständnis, auf das sich die Partei in ihrem Programm immer noch beruft, eine Familie erst durch Kinder komplett. Wenn die bisherigen Leistungen der ÖVP für die Verleihung des Etikettes "Familienpartei" ausreichen, dann sind die Grünen ab sofort eine "Auto- und Atompartei".